Da war doch was. Richtig…
Schon als Kind war ich reichlich impulsiv. Immer, wenn mir
etwas total gegen den Strich ging, äußerte ich sehr lautstark meinen Unwillen
und schimpfte was das Zeug hielt.
Als hätte die ganze Welt sich gegen mich verschworen, alle
Ungerechtigkeit sich nur bei mir gezeigt, zeterte ich wütend gegen alles und
jeden und verfing mich völlig in ungebremster Raserei. Jähzorn war ein häufiger
Begleiter jener Tage.
War ich in solch einer Verfassung, gab es nur eine, die mich
zum Innehalten brachte. Meine Mutter beherrschte nämlich ganz instinktiv das,
was man heute Neudeutsch als „Time-Out-Technik“ bezeichnet. „Das muss ich mir
nicht länger anhören“ war ihr Einstiegssatz, wenn es ihr zu bunt, also ich zu
unerträglich, zu tobsüchtig wurde. Dann wurde ich des Raumes verwiesen und ins
Bad geschickt. „Da kannst du schimpfen und wenn du dich beruhigt hast, kannst
du wieder herauskommen.“ Das Bad war also so etwas wie meine persönliche stille
Treppe. Präziser: Der geschlossene Toilettendeckel war es. Dort nahm ich Platz,
die Beine baumelten im Nirgendwo. Verzweifelt am Unverständnis und immer noch
weithin vernehmbar meine Meinung äußernd, ohne menschliches Gegenüber
monologisierte ich gegen Kacheln und Badezimmertür. Dass das Fenster
gekippt und ich auch noch draußen auf
dem Zugang zum Haus zu hören war,
beachtete ich nicht. Auch, dass mich nebenan meine Mutter immer noch hören
konnte, war ausgeblendet. Das kleine Mädchen war weiterer Reize entzogen und
scheinbar mit sich allein.
So war Beruhigung möglich. Und Nachdenken über alles, was
sie letztlich hierher geführt hatte. Nach geraumer Zeit wurde es irgendwann
stinklangweilig.
Die Kacheln hatten sich nicht verändert, auch der Rest des
Raumes nicht. Ich war sicher, dass mir niemand zuhörte. Wozu also weiter
schimpfen. Ich wollte raus aus dieser Lage. Also runter vom Sitzplatz, Richtung
Tür und schnell zur Mutter. Auf ihr sanftes „Na, hast du dich wieder beruhigt?“
antwortete ich mit einem kurzen Nicken. Dann
war endlich wieder alles gut und ihre Arme umfingen mich.
Noch heute ertappe ich mich gelegentlich, wesentlich
gedämpfter zwar nach außen, aber innerlich genauso intensiv wie damals, beim
Ausrasten. Wie bei einigen Sportarten gibt es dann das Time Out. Lange
trainiert, nun aber ohne Bad und inzwischen selbst verordnet. Als zwänge ich mich zu einer inneren Stillen
Treppe, halte ich inne, versuche den Auslöser meines Grolls aus einer anderen
Perspektive zu betrachten, denke an längst vergangene Kindertage im Badezimmer,
muss über die seinerzeit lauschenden Nachbarn lächeln, denke über intuitive
Pädagogik jenseits der heute üblichen Ratgeber nach und entspanne mich. Bis es
so weit ist, kann es auch schon mal länger dauern, aber im Ergebnis hilft es
immer noch.
Ich finde es immer wieder beeindruckend, wie nützlich Erfahrungen aus dem
Lebensarchiv sein können...
Copyright: Claudia Georgi