Samstag, 16. Mai 2015

Meine stille Treppe


Da war doch was. Richtig…

Schon als Kind war ich reichlich impulsiv. Immer, wenn mir etwas total gegen den Strich ging, äußerte ich sehr lautstark meinen Unwillen und schimpfte was das Zeug hielt.
Als hätte die ganze Welt sich gegen mich verschworen, alle Ungerechtigkeit sich nur bei mir gezeigt, zeterte ich wütend gegen alles und jeden und verfing mich völlig in ungebremster Raserei. Jähzorn war ein häufiger Begleiter jener Tage.

War ich in solch einer Verfassung, gab es nur eine, die mich zum Innehalten brachte. Meine Mutter beherrschte nämlich ganz instinktiv das, was man heute Neudeutsch als „Time-Out-Technik“ bezeichnet. „Das muss ich mir nicht länger anhören“ war ihr Einstiegssatz, wenn es ihr zu bunt, also ich zu unerträglich, zu tobsüchtig wurde. Dann wurde ich des Raumes verwiesen und ins Bad geschickt. „Da kannst du schimpfen und wenn du dich beruhigt hast, kannst du wieder herauskommen.“ Das Bad war also so etwas wie meine persönliche stille Treppe. Präziser: Der geschlossene Toilettendeckel war es. Dort nahm ich Platz, die Beine baumelten im Nirgendwo. Verzweifelt am Unverständnis und immer noch weithin vernehmbar meine Meinung äußernd, ohne menschliches Gegenüber monologisierte ich gegen Kacheln und Badezimmertür. Dass das Fenster gekippt  und ich auch noch draußen auf dem Zugang  zum Haus zu hören war, beachtete ich nicht. Auch, dass mich nebenan meine Mutter immer noch hören konnte, war ausgeblendet. Das kleine Mädchen war weiterer Reize entzogen und scheinbar mit sich allein.
So war Beruhigung möglich. Und Nachdenken über alles, was sie letztlich hierher geführt hatte. Nach geraumer Zeit wurde es irgendwann stinklangweilig.  

Die Kacheln hatten sich nicht verändert, auch der Rest des Raumes nicht. Ich war sicher, dass mir niemand zuhörte. Wozu also weiter schimpfen. Ich wollte raus aus dieser Lage. Also runter vom Sitzplatz, Richtung Tür und schnell zur Mutter. Auf ihr sanftes „Na, hast du dich wieder beruhigt?“  antwortete ich mit einem kurzen Nicken. Dann war endlich wieder alles gut und ihre Arme umfingen mich.

Noch heute ertappe ich mich gelegentlich, wesentlich gedämpfter zwar nach außen, aber innerlich genauso intensiv wie damals, beim Ausrasten. Wie bei einigen Sportarten gibt es dann das Time Out. Lange trainiert, nun aber ohne Bad und inzwischen selbst verordnet.  Als zwänge ich mich zu einer inneren Stillen Treppe, halte ich inne, versuche den Auslöser meines Grolls aus einer anderen Perspektive zu betrachten, denke an längst vergangene Kindertage im Badezimmer, muss über die seinerzeit lauschenden Nachbarn lächeln, denke über intuitive Pädagogik jenseits der heute üblichen Ratgeber nach und entspanne mich. Bis es so weit ist, kann es auch schon mal länger dauern, aber im Ergebnis hilft es immer noch.

Ich finde es immer wieder beeindruckend, wie nützlich Erfahrungen aus dem Lebensarchiv sein können...


Copyright: Claudia Georgi

2 Kommentare:

  1. "Erfahrungen aus dem Lebensarchiv", was für eine treffende Formulierung. "Stille Treppen" führen auf alle Fälle nach oben und damit weg von Zorn und Ärger. Dein Text auch, im übertragenen Sinn zumindest. Gut zu lesen

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    1. Danke dir, liebe Raphaela! Faszinierend jedenfalls, dass die Bilder der frühen Jahre sich so einmeißeln und manches auch nach Jahrzehnten noch als prägend empfunden wird

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